Cannabis im Straßenverkehr

Beim Konsum gibt es viele Unsicherheiten

Der Suchtmediziner Dr. Stefan Gutwinski beschäftigt sich mit der Wirkung von Drogen. Im Interview erläutert der Psychiater und Privatdozent von der Berliner Charité die komplexen Effekte von Cannabis – und wie lange Konsumierende nicht am Straßenverkehr teilnehmen sollten.

30.04.2024
3 min Lesedauer
Suchtmediziner Dr. Stefan Gutwinski trägt ein weißes Hemd, ein schwarzes Jackett, eine Brille und lächelt in die Kamera.
Dr. Stefan Gutwinski ist Oberarzt in der Psychiatrischen Universitätsklinik der Charité im St. Hedwig-Krankenhaus.

Dass der Konsum von Cannabis zunehmen wird, steht für Stefan Gutwinski fest. Neben dem illegal vertriebenen Cannabis gebe es demnächst auch das legale Cannabis, sodass die Konsumzahlen steigen werden. Das zeigten auch Beispiele aus anderen Ländern, sagt er. Umso wichtiger sei ein verantwortungsvoller Umgang mit der Droge.

Herr Dr. Gutwinski, wie wirkt Cannabis auf Körper und Geist?

Beim Kiffen oder anderen Formen des Cannabis-Konsums ist es ähnlich wie beim Alkohol: Durch Inhalation oder orale Einnahme entsteht eine Intoxikation, also ein Rausch. Die Wirkstoffe gelangen ins Blut und über dieses ins Gehirn. Die meisten Menschen erleben dann Gefühle von Depersonalisation und Derealisation. Das heißt: Sie nehmen die Realität und sich selbst verändert wahr. Im besten Fall empfinden sie Euphorie, es können aber auch Angst und Misstrauen sein. Häufig kommen ein verändertes Zeiterleben und eine beeinträchtigte Aufmerksamkeit hinzu. Die Urteils- und Reaktionsfähigkeit verändert sich und die persönliche Leistungsfähigkeit ist eingeschränkt. Das ist der akute Rausch.

Wie lange hält der Cannabis-Rausch an?

Wer eine mittlere Dosis konsumiert, sagen wir einen Joint mit 0,5 Gramm Cannabis, hat etwa sieben Stunden lang Cannabinoide im Blut, einschließlich des wirksamen THC. In diesen etwa sieben Stunden kann man den Cannabiskonsum im Blut nachweisen. Im Urin sind Cannabisbestandteile 6 Wochen, teilweise sogar länger nachweisbar.

Nahaufnahme Hände: Eine Person zündet sich einen Joint an.

Man sollte also noch vorsichtiger sein als nach dem Alkoholkonsum?

Es gibt einen wesentlichen Unterschied. Alkohol ist wasserlöslich, verdünnt sich im Blut und kann über den Urin ausgeschieden werden. Cannabis dagegen ist fettlöslich. Der Wirkstoff geht ins Fettgewebe, man legt sich einen kleinen Cannabis-Speicher an. Wer also regelmäßig hohe Dosen oder täglich eine kleine Dosis konsumiert, füllt diesen Speicher und das Fett gibt das Cannabis noch Tage später ab. Ich vermute, dass das auch einen Einfluss auf die Reaktionsfähigkeit hat. Aber das ist nach meiner Kenntnis wissenschaftlich noch nicht ausreichend untersucht.

„Wer über das Wochenende verteilt mehrere Gramm konsumiert hat, sollte Montagmorgen nicht selbst zur Arbeit fahren.“

Ist jemand, der am Wochenende mehrere Joints geraucht hat, am Montagmorgen noch high?

Nicht im Sinne eines akuten Rausches. Aber leichte Konzentrationsstörungen und eine verminderte Reaktionsfähigkeit können sicher noch vorhanden sein. Wer über das Wochenende verteilt mehrere Gramm Cannabis konsumiert hat, sollte am Montagmorgen nicht selbst zur Arbeit fahren und auch auf der Arbeit keine Fahrzeuge führen.

Einige Menschen konsumieren medizinisches Cannabis gegen Schmerzsymptome. Raten Sie den Betroffenen, das Auto, das Fahrrad oder den E-Scooter generell stehen zu lassen?

Cannabis-Patienten nehmen in der Regel ohnehin nicht am Straßenverkehr teil, weil ihre Beeinträchtigungen so groß sind. Sie nehmen oft noch andere Schmerzmittel oder Antiepileptika. Aber wenn Autofahren oder Radfahren ein Thema ist, würde ich diesen regelmäßigen Konsumenten immer sagen: „bitte nicht!“

Wie beurteilen Sie Cannabis als Droge im Allgemeinen?

Seltene und geringe Dosierungen von Cannabis sind für die meisten psychisch gesunden Erwachsenen keine Gefährdung. Aber es ist eine problematische Substanz für Jugendliche, weil es das Denken und die kognitive Entwicklung stört, sowie für Menschen mit psychischen Erkrankungen, weil es den Verlauf vieler Erkrankungen verschlechtert. Und natürlich ist wie bei jeder Sucht der regelmäßige Konsum problematisch.

Bilder: Hr. Dr. Gutwinski, Shutterstock.

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