Auf eigenen Rädern

Die Radfahrausbildung in der Grundschule

Eltern sollten ihre Kinder so früh wie möglich an den Straßenverkehr heranführen. Ein erster Schritt dazu ist die Radfahrausbildung in der Grundschule. Der Pädagoge Josef Weiß von der Deutschen Verkehrswacht (DVW) erläutert im Interview, wie Mütter und Väter ihre Kinder dabei unterstützen können.

19.03.2025
4 min Lesedauer

Theorie im Klassenzimmer, Praxis im Straßenverkehr: Im Interview erläutert der Pädagoge Josef Weiß von der Deutschen Verkehrswacht (DVW), warum die Radfahrausbildung in der Grundschule wichtig ist und worauf Eltern achten sollten, damit ihre Kinder sicher auf zwei Rädern unterwegs sind.

Herr Weiß, die Deutsche Verkehrswacht bezeichnet die Radfahrausbildung in der Schule als „Kernstück der schulischen Verkehrserziehung“. Warum vertritt die DVW diese Position?

In der Grundschule gibt es zwei Themen, die für den Straßenverkehr besonders wichtig sind. Zum einen gehört dazu das Üben des Schulweges. Zum anderen ist es die Radfahrausbildung im dritten beziehungsweise vierten Schuljahr. Sie bereitet die Kinder im Alter von acht bis neun Jahren systematisch auf den Straßenverkehr vor. Genau dann, wenn sie von ihrer Entwicklung her langsam in der Lage sind, komplexe Aufgaben zu lösen. Wir gehen davon aus, dass jährlich rund 95 Prozent aller Grundschulkinder diese Ausbildung absolvieren.

Die Radfahrausbildung ist in allen Bundesländern fest im Stundenplan verankert. Wie ist sie aufgebaut und wer führt sie durch?

Sie besteht aus einem theoretischen und einem praktischen Teil, der jeweils mit einer Prüfung abgeschlossen wird. Ziel der Ausbildung ist es, die Kinder auf eine sichere und selbstständige Teilnahme am Straßenverkehr vorzubereiten. Die Lehrkräfte in den Grundschulen übernehmen den theoretischen Teil. Acht bis zehn Stunden lang geht es um die Grundlagen – das verkehrssichere Fahrrad, den Fahrradhelm, Regeln und Vorschriften, das Fahrrad als umweltfreundliches Verkehrsmittel – sowie um situationsgerechtes Verhalten mit der Sensibilisierung für Gefahren. Die Kinder müssen immer damit rechnen, dass andere Fehler machen. Für diese Fälle lernen sie, ihre eigenen Fähigkeiten richtig einzuschätzen. Erste praktische Erfahrungen sammeln die Kinder dann in stationären oder mobilen Jugendverkehrsschulen und im realen Straßenverkehr. Dabei begleitet sie die Polizei.

Was üben die Kinder in der Praxis?

Zu Beginn der praktischen Ausbildung schaut die Polizei, wie sicher die Schülerinnen und Schüler auf dem Fahrrad sind. Die Kinder müssen ihr Fahrrad beherrschen, damit sie sich auch auf den Verkehr um sie herum konzentrieren können. Dazu üben sie geradeaus fahren, links abbiegen, die Spur halten, bremsen, sich umschauen, einhändig fahren, Handzeichen geben und das Verhalten am Stoppschild sowie im Kreisverkehr.

Eine Gruppe von Schulkindern ist der Radfahrausbildung. Die Kinder schauen einem Polizisten zu, er macht ein Handzeichen auf dem Fahrrad vor.

Wo liegen dabei die Schwierigkeiten?

Viele Kinder beherrschen ihr Fahrrad nicht gut oder gar nicht. Die Gründe sind vielfältig, oft sind es motorische Defizite und Bewegungsmangel. Es gibt auch immer mehr Familien, die gar nicht Rad fahren. Das ist nicht mehr selbstverständlich.

Ein Mann im grauen Anzug steht vor einem gelben Bus und lächelt. Es ist Josef Weiß.
Pädagoge und Experte bei der Deutschen Verkehrswacht: Josef Weiß.

Warum hat sich das geändert?

Kinder wachsen heute in einem anderen Umfeld auf. Das Freizeitverhalten hat sich verändert, es findet mehr drinnen statt. Viele Gegenden sind für Kinder auch nicht unbedingt zum Radfahren geeignet. Wir wissen aus Untersuchungen, dass Kinder in Großstädten immer weniger Möglichkeiten haben, Rad zu fahren und sich zu bewegen. Vor 40 Jahren wurde kaum ein Kind zur Schule gefahren. Heute ist das weit verbreitet. Die Pandemie hat diesen Bewegungsmangel mancherorts noch massiv verschärft, weil Sportvereine und Spielplätze geschlossen wurden. Umso wichtiger ist es, dass schon die Kindergärten Bewegung fördern, zum Beispiel mit Laufrädern. So gewöhnen sich die Kinder an die Bewegung auf Rollen und Rädern und lernen, das Gleichgewicht zu halten.

Die Radfahrausbildung in der Grundschule legt also auch den Grundstein für die Mobilität junger Menschen?

Ganz genau. Das Radfahren ist wichtig für ihre Mobilität, ihre Selbstständigkeit und ihre Gesundheit. Aus der Studie „Mobilität in Deutschland“ von 2017 wissen wir, dass das Fahrrad für 10- bis 19-Jährige das Verkehrsmittel Nummer eins ist. Demnach legen sie 21 Prozent ihrer Wege mit dem Fahrrad zurück. Im Durchschnitt der Gesamtbevölkerung sind es 13 Prozent. Das zeigt, wie intensiv Kinder und Jugendliche das Fahrrad nutzen. Sie erweitern eigenständig ihren Mobilitätsradius und sind dabei nachhaltig und ressourcenschonend unterwegs. Gegen Ende dieses Jahres erwarten wir aktuelle Zahlen aus der Folgestudie 2023 und werden sehen, inwieweit die Pandemie auch die Mobilität von Kindern und Jugendlichen verändert hat.

Ein Vater schließt den blauen Fahrradhelm seines Sohnes.

Welche Situationen sind für Kinder beim Radfahren besonders gefährlich?

Das Radfahren ist vor allem in der Stadt eine Herausforderung, der Kinder entwicklungsbedingt erst nach und nach gewachsen sind. Sie müssen sehr viele Dinge gleichzeitig können. Sie müssen fahren und dabei schauen: Was mache ich, was machen die anderen? Dieses ständige geistige Dabeisein und auf alles reagieren, das sind die Kinder nicht gewöhnt. Hinzu kommt, dass sie aufgrund ihrer Körpergröße weniger sehen. Erst gegen Ende der Grundschulzeit sind sie in der Lage, durch eigenes Handeln Gefahren wahrzunehmen und abzuwehren.

Außerdem lassen sich Kinder noch leichter ablenken als Erwachsene. Sie brauchen eine gewisse Routine, die sie erst im Laufe des Fahrens bekommen, wenn sie zum Beispiel auf eine Kreuzung zufahren. Das müssen Kinder Schritt für Schritt lernen. Die Eltern müssen sie darauf vorbereiten.

Eltern legen den Grundstein für den Spaß an der Bewegung.

Wie können die Eltern dabei helfen?

Im Grunde fängt die Förderung schon bei den Kleinsten an. Turnen, der erste Roller, später das Fahrrad – all das sind erste Bewegungserfahrungen, die Eltern fördern sollten. Das prägt die Motorik der Kinder und sorgt dafür, dass sie sich später sicherer im Verkehr bewegen. Eltern legen den Grundstein für den Spaß an der Bewegung. Dafür lohnt es sich, regelmäßig zu üben. Während der Radfahrausbildung können Eltern beim Lernen der Theorie helfen oder gemeinsam den Wohnort aus der Sicht des Straßenverkehrs beleuchten. Wir empfehlen, die Neugier der Kinder im Alltag zu nutzen, um Regeln und Schilder zu erklären.

Außerdem empfiehlt es sich, den Schulweg mit dem Fahrrad unter realen Bedingungen abzufahren. Das heißt zum Beispiel in den Morgenstunden, wenn auf den Straßen mehr los ist. Dabei können die Kinder lernen, auch auf spontane Herausforderungen zu reagieren, und es hilft ihnen, Routine zu entwickeln.

Praktische Tipps für Eltern

Wie Eltern ihre Kinder bei der Radfahrausbildung am besten unterstützen können, hat die Deutsche Verkehrswacht hier zusammengestellt.

Worauf müssen Eltern bei der Ausrüstung achten?

Das Fahrrad muss verkehrssicher sein. Das heißt, Bremsen und Licht müssen funktionieren und alle vorgeschriebenen Reflektoren müssen angebracht sein. Eltern sollten auch mit Helm fahren, um ihren Kindern ein gutes Vorbild zu sein.

Eine Grafik zeigt ein Fahrrad und welche Bestandteile es braucht, um als verkehrssicher zu gelten.

Was würden Sie sich als Pädagoge von den anderen Verkehrsteilnehmenden wünschen?

Kinder sind nicht erwachsen. Sie bewegen sich manchmal unsicher, sind schneller überfordert, fahren langsamer und lernen noch. Die anderen Verkehrsteilnehmenden sollten deshalb Rücksicht und Empathie gegenüber Kindern im Straßenverkehr zeigen. Man muss verstehen, dass es bei Kindern etwas länger dauert und dass sie Fehler machen können. Jeder fängt mal an und da ist Gelassenheit gefragt.

Bilder: Deutsche Verkehrswacht, Shutterstock, #mehrAchtung

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