Neurologin Dr. Anne-Sophie Biesalski
Wie wirkt Alkohol im Gehirn?
Warum gibt es trotz guter Aufklärungsarbeit immer noch so viele Alkoholunfälle? Wie beeinflusst Alkohol unsere Reaktionsfähigkeit und Koordination? Wir haben mit der Neurologin und Notärztin Dr. Anne-Sophie Biesalski gesprochen.

Alkohol ist allgegenwärtig – leider auch im Straßenverkehr. Trotz seiner bekannten negativen Auswirkungen sind im Jahr 2024 17.974 Menschen bei Alkoholunfällen im Straßenverkehr verunglückt, 198 Menschen wurden getötet. Die Neurologin und Notfallmedizinerin Dr. Anne-Sophie Biesalski ist Vorstandsmitglied der Deutschen Hirnstiftung und weiß, welche Faktoren Alkohol so verbreitet und gleichzeitig so gefährlich im Straßenverkehr machen.
„Trotz der bekannten Gefahren ist Alkohol in unserer Gesellschaft tief verwurzelt“, sagt Dr. Anne-Sophie Biesalski. Dies sei zum Teil auf den sozialen Druck zurückzuführen: „Es ist für viele immer noch das soziale Schmiermittel.“ Ob beim Geschäftsessen oder in der Freizeit – kaum ein soziales Ereignis kommt ohne ihn aus. Doch was genau macht Alkohol mit dem Gehirn?
Unter anderem so wirkt Alkohol in Gehirn und Körper
Die Wahrnehmung verschlechtert sich
Nach dem Konsum gelangt Alkohol schnell ins Gehirn und betäubt alle unsere Nervenzellen. Daher lassen mit steigendem Alkoholpegel alle Sinneswahrnehmungen nach. Die Wahrnehmung – wie etwa Sehen, Fühlen und Hören – ist zunehmend eingeschränkt. Insbesondere das Einschätzen von Entfernungen und Geschwindigkeiten wird immer unzuverlässiger.
Die Reaktionszeiten werden länger
„Alkohol hat eine direkte vegetative Wirkung. Der Puls beschleunigt sich, die Muskulatur entspannt sich.“ Dadurch verschlechtert sich zum Beispiel die Reaktionsfähigkeit: „Durch Alkohol wird die Reaktionsgeschwindigkeit massiv verlangsamt“, sagt Dr. Biesalski. „Das hat im Straßenverkehr gravierende Auswirkungen, weil man in Gefahrensituationen im Zweifel später auf die Bremse tritt.“
Die Risikobereitschaft steigt
Alkohol sorgt dafür, dass Kontrollmechanismen gehemmt und die Impulskontrolle vermindert werden: „Gerade im Straßenverkehr ist das eine gefährliche Kombination“, sagt Dr. Biesalski.
Alkohol macht sorgloser
„Alkohol führt dazu, dass Neurotransmitter anders ausgeschüttet werden. Das betrifft zum Beispiel das Dopamin“, so Dr. Biesalski. Dopamin ist ein wichtiger Botenstoff im Belohnungssystem des Gehirns. „Es löst ein angenehmes Gefühl aus.“ In Verbindung mit der höheren Risikobereitschaft kann das zu leichtsinnigen Entscheidungen und damit zu Verkehrsunfällen führen.
Koordinieren fällt schwer
„Alkohol wirkt in unserem Kleinhirn, das für koordinierte Bewegungen zuständig ist“, sagt die Neurologin und Notfallmedizinerin. Wer betrunken ist, kann deshalb Schwierigkeiten haben, die Fahrlinie zu halten oder beispielsweise im Pkw die Bremse, das Gaspedal, den Schalthebel und das Lenkrad sicher zu bedienen.
Wer trinkt, fährt nicht – auch nicht Fahrrad oder E-Scooter
Dr. Biesalski warnt besonders vor Alkoholfahrten mit Fahrrädern und E-Scootern. „Viele sind ohne Helm und mit unzureichender Beleuchtung unterwegs. Bei E-Scootern kommt eine hohe Geschwindigkeit von 20 Stundenkilometern hinzu.“ Allein das sei schon gefährlich, so die Notfallmedizinerin. „Wenn sie dann noch Alkohol trinken, ihre Koordination leidet und sie ihre Fähigkeiten überschätzen, kann das zu schweren Unfällen führen.“
Wie lange bleibt Alkohol im Körper?
Der Körper braucht Zeit, um den Alkohol abzubauen – etwa 0,1 Promille pro Stunde. Wer mit 0,8 Promille ins Bett geht, muss etwa acht Stunden schlafen, bis der Alkohol vollständig abgebaut ist.
Die Langzeitfolgen von Alkohol
Alkohol ist jedoch nicht nur im Moment der Trunkenheit gefährlich. „Regelmäßiger Alkoholkonsum kann langfristig das Gehirn schädigen und zu kognitiven Einbußen führen“, sagt Dr. Biesalski. „Wir sehen, dass Patienten mit einer alkoholbedingten Frontalhirnstörung generell verschlechterte Denkprozesse haben. Aber auch die Reaktionsfähigkeit ist langsamer und die Aufmerksamkeit ist vermindert.“ Diese langfristigen Schäden können die Verkehrssicherheit zusätzlich beeinträchtigen – selbst wenn die Person zum Zeitpunkt der Fahrt nüchtern ist.
Neben ihrem Beruf als Neurologin erlebt Anne-Sophie Biesalski als Notfallmedizinerin direkt die Folgen von Alkohol und Drogen im Straßenverkehr. „Es kommt häufig vor, dass wir Betrunkene direkt aus dem Straßenverkehr in die Notaufnahme bringen“, erzählt sie. „Sie laufen unter Alkoholeinfluss oder Drogeneinfluss einfach vor Autos, weil sie die Risiken nicht einschätzen können oder weil sie viel weniger darauf achten.“
So sehr Alkohol auch in der Gesellschaft verankert ist, macht die Neurologin deutlich: „Alkohol ist ein Nervengift.“ Aus diesem Grund appelliert sie an die Vernunft und warnt vor einem verantwortungslosen Umgang. „Wer Alkohol getrunken hat, sollte sein Fahrzeug stehen lassen.“
Bilder: Dr. Anne-Sophie Biesalski


