Geräuschkulisse im Straßenverkehr
Gefährdet Verkehrslärm die Verkehrssicherheit?
Motoren, Abrollgeräusche, Sondersignale und Hupen – im Straßenverkehr ist es laut. Welche Folgen hat das für die Verkehrssicherheit und wie können alle zu einem leiseren Straßenverkehr beitragen?

Vom Lärmteppich des Straßenverkehrs können wichtige akustische Signale überdeckt werden. Wie Lärm die Verkehrssicherheit beeinflusst und was wir für einen leiseren Straßenverkehr und ein besseres Verkehrsklima tun können.
Fast 22 Millionen Menschen in Deutschland sind täglich einem dauerhaften Verkehrslärm von über 55 Dezibel (dB(A)) ausgesetzt – eine Belastung, die das Umweltbundesamt als Lärmbelästigung einstuft. Doch Lärm stört nicht nur, er gefährdet auch die Verkehrssicherheit.
Die Ursachen für den Geräuschpegel sind vielfältig: Ein großer Faktor sind Abrollgeräusche – also der Kontakt zwischen Reifen und Fahrbahn –, besonders bei höheren Geschwindigkeiten. Aber auch Motorengeräusche, Anfahren, Abbremsen und auch notwendige Warnsignale wie Hupen oder Martinshörner tragen zum Geräuschteppich im Straßenverkehr bei.
Gesundheitliche Folgen von Straßenverkehrslärm
„Dauerhafter Verkehrslärm kann unter anderem Schlafstörungen auslösen und Konzentrationsprobleme verursachen“, sagt André Fiebig, Psychoakustiker an der TU Berlin, der zu Verkehrslärm und lärmbewusstem Verhalten forscht. Wenn Geräusche, insbesondere Verkehrslärm, zu einer Dauerbelastung werden, reagiert der Körper mit Stress. „Am Steuer kann sich das wiederum auf die Aufmerksamkeit und damit die Sicherheit im Straßenverkehr auswirken“, so Fiebig.
Grenzwerte: Wie laut sind Verkehrsgeräusche im Vergleich?
Ruhige Wohnstraße: 40–50 dB(A), leise bis normal
Normales Gespräch: 50–60 dB(A), normal
Vorbeifahrender Pkw (10 m Entfernung): 70–80 dB(A), laut bis sehr laut
Vorbeifahrender schwerer Lkw (5 m Entfernung): 80–90 dB(A), sehr laut
Autohupen in 7 m Abstand: 100 dB(A), sehr laut bis unerträglich
Martinshorn aus 1,5 m Entfernung: bis zu 120 dB(A), unerträglich bis schmerzhaft
Düsenjet beim Start: 120–130 dB(A), jenseits der Schmerzschwelle
Lärmminderung durch Technik, Verkehr und Städteplanung
Um die Sicherheit zu erhöhen und Lärm zu reduzieren, brauche es ein Zusammenspiel verschiedener Maßnahmen, sagt Fiebig. Geräuschoptimierten Reifen reduzieren das Abrollgeräusch im Vergleich zu herkömmlichen Reifen um bis zu 9 dB(A) im Fahrzeuginneren und beeinflussen die Fahrleistung des Fahrzeugs nicht, sie absorbieren nur die Fahrgeräusche. Lärmmindernde Fahrbahnbeläge wie offenporiger Asphalt (OPA) können die Rollgeräusche deutlich reduzieren: bei Lkw je nach Aufbau und Geschwindigkeit um bis zu 7 dB(A), bei Pkw um bis zu 10 dB(A).
Auch die Stadtplanung kann durch verschiedene Maßnahmen innerstädtische Bereiche leiser machen. Lärmschutzwände, die Wohngebiete vor Verkehrslärm schützen, können je nach Höhe, Material und Abstand zur Lärmquelle den Lärm um bis zu 20 dB(A) mindern. Auch in verkehrsberuhigten Bereichen kann der Lärmpegel durch geringere Fahrgeschwindigkeiten und reduzierten Verkehr gesenkt werden.
10 dB(A)
Wenn der Straßenverkehr um 10 dB(A) leiser ist, ist er für das menschliche Ohr nur noch halb so laut.
Gefährliche Ablenkung: Noise-Cancelling-Kopfhörer und laute Musik
Viele Menschen versuchen, dem Lärm durch lärmmindernde Noise-Cancelling-Kopfhörer oder laute Musik zu entfliehen. Doch das ist gefährlich: Aufmerksamkeit ist im Straßenverkehr lebenswichtig! Wer sich akustisch abschottet, riskiert, Warntöne wie Martinshörner, Signale an Bahnübergängen, Klingeln oder Hupen zu überhören. Das kann zu schweren Unfällen führen.
Für blinde und sehbehinderte Menschen sei dieser Trend im Straßenverkehr besonders gefährlich, sagt Anieke Fimmen, Referentin für Sozialpolitik beim Sozialverband Deutschland (SoVD), und fügt an: „Kommunikation ist für Sehbehinderte unerlässlich, etwa um nach Hindernissen zu fragen, die sie mit dem Stock nicht ertasten können.“ Durch die Kopfhörer werde das praktisch unmöglich.
E-Mobilität: Straßenverkehr kann auch zu leise sein
Doch auch leiser Verkehr kann Gefahren bergen: insbesondere durch Elektroautos und E-Scooter. Elektromotoren sind leiser als Verbrennungsmotoren. Ein Gewinn für den Lärmschutz, aber ein potenzielles Risiko – besonders für blinde und sehbehinderte Menschen, die im Straßenverkehr vor allem auf akustische Signale angewiesen sind.
Seit 2019 müssen E-Fahrzeuge deshalb mit einem Acoustic Vehicle Alerting System (AVAS) ausgestattet sein, um besser wahrgenommen werden zu können. Das System erzeugt beim Anfahren bis zu einer Geschwindigkeit von 20 km/h und beim Rückwärtsfahren ein akustisches Signal. Das sei „unglaublich wichtig“ für blinde und sehbehinderte Menschen, sagt Anieke Fimmen. Ab einer Geschwindigkeit über 20 km/h sind die Abrollgeräusche der Reifen auch bei E-Fahrzeugen laut genug, um akustisch wahrgenommen werden zu können.
Ruhig, gelassen und sicher unterwegs
An belebten Kreuzungen kann es für blinde und sehbehinderte Menschen zur Herausforderung werden, wichtige akustische Orientierungshilfen wie Ampeltöne wahrzunehmen. Noch schwieriger wird es laut Anieke Fimmen, wenn unnötige Geräuschquellen wie Hupen oder Klingeln im dichten Verkehr hinzukommen und die Situation zusätzlich verkomplizieren.
Auch Psychoakustiker André Fiebig betont die Bedeutung des individuellen Verhaltens auf die Lärmbelastung: „Die meisten Menschen leiden unter Verkehrslärm, tun aber selbst relativ wenig dagegen, weil sie ihren Einfluss auf den Verkehrslärm unterschätzen.“ Dabei spielt die Fahrweise eine entscheidende Rolle: „Wer starkes Beschleunigen, schnelles Anfahren und starkes Abbremsen vermeidet, reduziert die Lärmbelastung erheblich“, so Fiebig.
Vorausschauend zu fahren und unnötigen Lärm zu vermeiden, helfe laut der SoVD-Referentin hingegen, dass akustische Signale wie Ampeltöne oder herannahende Fahrzeuge wahrnehmbar bleiben. Das käme das nicht nur blinden und sehbehinderten Menschen zugute: „Rücksicht ist der Schlüssel zu einem stressfreieren und sichereren Straßenverkehr für alle.“
Bild: Shutterstock