Emotionen im Straßenverkehr

Lieber nicht! So vermeiden wir Konfliktsituationen

Warum reagieren wir im Straßenverkehr emotional? Ein Verkehrspsychologe erklärt, warum scheinbar harmlose Situationen manchmal eskalieren.

17.01.2024
4 min Lesedauer
Ein Mann im Anzug sitzt lächelnd da und schaut in die Kamera. Es ist Christian Müller. Er ist Verkehrspsychologe.
Christian Müller ist Verkehrspsychologe beim Medizinisch-Psychologischen Institut des TÜV Nord.

Einen grünen Pfeil an der roten Ampel übersehen, die Vorfahrt genommen oder zu dicht überholt: Im Straßenverkehr kommt es häufig zu Fehlern und Konflikten. Warum wir gerade im Auto oder auf dem Fahrrad besonders emotional reagieren, erklärt Christian Müller. Er ist Verkehrspsychologe beim Medizinisch-Psychologischen Institut des TÜV Nord.

1. Herr Müller, warum reagieren Menschen im Straßenverkehr besonders emotional? Warum kochen die Gefühle so schnell hoch?

Ein großes Problem sind die eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten im Straßenverkehr, zum Beispiel wenn beide Beteiligten im Auto sitzen. Es wird auf Gesten oder die Lichthupe zurückgegriffen. Damit verbunden ist das Problem, dass man sich nicht sofort entschuldigen kann.

Es kommt zu Missverständnissen und Fehleinschätzungen, weil man das Verhalten des anderen falsch interpretiert. Wir neigen von Natur aus dazu, das Geschehene auf uns zu beziehen. Dann nehmen wir Dinge schnell persönlich.

Ein weiterer Punkt ist, dass wir nur unsere eigene Perspektive sehen. Ich sehe nur mich und ich habe recht. Ich versetze mich nicht in die Lage des anderen. Der konnte mich vielleicht gar nicht richtig sehen, weil ich auch ein bisschen zu schnell war oder aufgrund einer ungünstigen Verkehrssituation. Und dann kochen natürlich die Emotionen hoch und es eskaliert.

Wir neigen von Natur aus dazu, das Geschehene auf uns zu beziehen. Dann nehmen wir Dinge schnell persönlich.

2. Würden Sie sagen, dass der Straßenverkehr generell ein konfliktträchtiger Bereich ist?

Auf jeden Fall. Das liegt zum einen an den mangelnden Kommunikationsmöglichkeiten. Zum anderen ist es aber auch die Schnelligkeit des Verkehrs, die uns teilweise überfordert. Wir können komplexe Situationen nicht vollständig wahrnehmen, weil wir eben beispielsweise den grau gekleideten Radfahrer übersehen. Gerade der innerstädtische Verkehr ist heutzutage komplex. Plötzlich stehen wir an Kreuzungen mit mehreren Fahrspuren. Dann kommen Radfahrer hinzu und vor uns ist noch eine Spur durch eine Baustelle eingeschränkt. Das ist eine unheimliche Herausforderung. Hinzu kommen persönlicher Stress und Termindruck. Auf alles muss schnell reagiert werden, da passieren Fehler. Das ist menschlich.  

Das Bild zeigt Verkehr auf einer Straßenkreuzung am Potsdamer Platz in Berlin.

3. Welche Gruppe von Verkehrsteilnehmenden neigt aus Ihrer wissenschaftlichen Sicht besonders zu Aggression? Und warum?

Eine Person fährt mit dem Fahrrad auf einem Radfahrstreifen.

Dies lässt sich nicht auf eine bestimmte Gruppe von Verkehrsteilnehmern eingrenzen. Es sind Menschen aus allen Berufs- und Bildungsschichten. Aber es ist schon so, dass Menschen, die nie gelernt haben, ihr Verhalten und ihre Gedanken zu reflektieren, schneller zu Eskalation neigen. Dieses Verhalten kann zusätzlich verstärkt auftreten, wenn Menschen in ihrer Kindheit und Jugend ungünstiger Weise gelernt haben, sich mit aggressivem Verhalten durchzusetzen, beispielsweise mit Drohen oder Beleidigen.

4. Wo gibt es besonders heftige Konfliktherde – z. B. in zwischenmenschlichen Situationen oder zwischen Verkehrsmitteln?

Situationen zwischen Radfahrern und Autofahrern bergen auf jeden Fall ein hohes Konfliktpotenzial. Der Klassiker ist, dass der Autofahrer den Radweg zuparkt oder der Radfahrer den Radweg nicht benutzt, obwohl er vorhanden ist.

Aber auch auf der Autobahn gibt es Konflikte zwischen langsam und schnell Fahrenden. Es wird oft zu dicht aufgefahren oder von rechts überholt. Im klassischen Innenstadtverkehr sind es vor allem die Konflikte beim Parken, die schnell eskalieren. Wenn der eine dem anderen die Lücke wegnimmt, dann haben wir schon erlebt, dass manche Menschen aufeinander losgehen.

5. Ist es sinnvoll, Fremde auf ihr Fehlverhalten im Straßenverkehr hinzuweisen?

Davon kann ich nur abraten, denn das führt oft zur Eskalation. Das ist der Glaube, man könne andere Erwachsene erziehen, indem man sie zurechtweist, belehrt oder gar durch bestimmte Handlungen wie Bremsen oder Anschreien Lerneffekte erzielt. Stattdessen ist die Folge, dass so etwas eskaliert.

Wenn der andere offensichtlich nicht weiß, dass er einen Fehler gemacht hat, kann man einen Hinweis geben. Aber in einem sachlichen und freundlichen Ton, um den anderen darauf aufmerksam zu machen.

Eine Frau sitzt am Steuer eines Autos und gestikuliert aus dem geöffneten Fenster. Sie schaut verärgert.
Häufig kommt es durch Unachtsamkeit zu Konfliktsituationen im Straßenverkehr. Die Emotionen kochen dann schnell auf beiden Seiten hoch.

6. Erhöht sich das Unfallrisiko durch hitzig ausgetragene Konflikte im Straßenverkehr?

Ja, das Risiko durch Konflikte ist extrem hoch. Durch irrationales Fahrverhalten tritt das sicherheitsorientierte Fahren völlig in den Hintergrund. Ein Beispiel: Man fährt dicht auf, um dem anderen zu signalisieren, dass er ausweichen soll. Ein Sicherheitsabstand wird nicht mehr eingehalten. Muss der andere aufgrund unvorhergesehener Ereignisse tatsächlich bremsen, ist der Unfall vorprogrammiert – oder beide Verkehrsteilnehmer eskalieren ihr Verhalten.

Auch unmittelbar nach einer solchen Auseinandersetzung sind die Emotionen noch stark. Die Aufregung ist groß und dann wird oft auch noch zu schnell gefahren. So reagiert man seinen Stress ab und es entsteht wieder ein zusätzliches Sicherheitsrisiko.

7. Was bedeutet es für den Straßenverkehr, wenn Menschen emotional aufgeladen fahren oder gehen?

Das Verhalten wird nicht mehr rational gesteuert. Man fährt aggressiver und neigt dadurch eher zu gefährlichem Verhalten. Bei manchen kommt es sogar zu körperlicher Gewalt. Im Nachhinein merken sie dann, was sie getan haben, und bereuen es. In der Psychologie nennt man das Impulskontrollverlust.

8. Wie lassen sich solche Konflikte vermeiden oder entschärfen?

Es ist wichtig, sich vorher bewusst zu machen, dass das Wichtigste im Straßenverkehr die Sicherheit für sich selbst und andere ist. Erst danach kommt die Pünktlichkeit oder andere Anliegen. Außerdem sollte man sich während der Fahrt nicht auf Spekulationen einlassen. Wahrscheinlich hat sich die andere Person nur unbewusst falsch verhalten. Vielleicht wurde sie gerade entlassen oder war abgelenkt. Sie handelt aber ohne Vorsatz oder gezielte Provokation.

Das Wichtigste im Straßenverkehr ist die Sicherheit für sich selbst und andere.

9. Wie gehe ich am besten mit Provokationen, Gesten und Beleidigungen anderer um? Wenn ich wütend oder verärgert bin, wie kann ich mich in Konfliktsituationen schnell wieder beruhigen?

In manchen Reizsituationen hilft es, bewusst zu atmen. Zehn Sekunden lang, tief in den Bauch hinein. Das hat zwei Effekte. Zum einen nehme ich mich aus der Situation heraus, gewinne Abstand und konzentriere mich auf mich. Außerdem löst sich die Erregung und ich kann mich wieder rational verhalten. Wenn ich dann in der Situation merke, dass sich tatsächlich jemand falsch verhält und jemanden gefährdet, dann rufe ich die Polizei.

Wenn man generell dazu neigt, sich Luft machen zu müssen, dann hilft es, präventiv Entspannungsmöglichkeiten zu schaffen. Meditation, ein Spaziergang im Wald oder Sport hilft. Wenn ich für Ausgleich sorge, bin ich auch weniger gefährdet, in einer Konfliktsituation aggressiv zu reagieren.

Bilder: TÜV NORD Mobilität, Shutterstock

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