Die Macht der
Freundlichkeit
Freundlichsein macht glücklich, das zeigen viele neuere sozialpsychologische Studien. Lassen sich diese Erkenntnisse auch auf den Straßenverkehr übertragen? Das haben wir die Psychologieprofessorin Gul Gunaydin von der Sabanci-Universität Istanbul gefragt, die sich in einer Studie mit freundlichem Verhalten von Buspassagieren beschäftigt hat.
Als Sie vor einigen Jahren von der Türkei in die USA gezogen sind, haben Sie eine überraschende Entdeckung gemacht, die mit Busfahren zu tun hat …
Ja – ich war in die USA gegangen, um an der Cornell University in Ithaca, New York, meinen Doktor zu machen. In dieser Zeit bin ich oft mit Bussen zum Campus gependelt. Ich weiß noch, wie überrascht ich war, als ein Busfahrer zum ersten Mal zu mir sagte: „Hi, how you doin’?“ Da die Menschen in der Türkei selten mit Busfahrerinnen und Busfahrern sprechen, wusste ich gar nicht, was ich antworten sollte. Nach ein paar Fahrten wurde mir klar, dass das in meiner neuen Stadt üblich war. Also machte ich es den anderen nach, und begann die Busfahrerinnen und Busfahrer zu grüßen und Danke zu sagen. Und ich war angenehm überrascht, wie diese kurze Interaktion mit Fremden mich immer mit einem guten Gefühl zurückließ.
Das hat Sie dann auf die Idee einer Studie gebracht. Was haben Sie herausgefunden?
In Querschnitts- und experimentellen Studien konnten wir zeigen, dass Passagiere, die angaben, Busfahrerinnen und Busfahrer während ihrer Fahrt zu grüßen, ihnen zu danken oder alles Gute zu wünschen, von einem höheren subjektiven Wohlbefinden berichteten. Aber wir wussten zu dem Zeitpunkt noch nichts über den genauen Zusammenhang: ob diese momentanen Interaktionen zu größerem Glück führten oder ob glückliche Menschen einfach häufiger positive Interaktionen hatten.
Wenn man glücklich ist, ist man netter …
Genau. Um also Ursache und Wirkung auseinanderzuhalten, führten wir eine experimentelle Feldstudie durch, bei der wir Menschen rekrutierten, die die kostenlosen Shuttlebusse der Universität nutzten. Wir verteilten versiegelte Umschläge an die Reisenden, als sie gerade dabei waren, einen Shuttle von der Innenstadt zum Campus zu nehmen. Diese Umschläge enthielten Anweisungen, was sie tun sollten, wenn sie aus dem Shuttle ausstiegen. Eine Gruppe wurde aufgefordert, dem Fahrenden Danke zu sagen oder einen schönen Tag zu wünschen und dabei zu lächeln und, wenn möglich, Augenkontakt herzustellen. Die andere Gruppe wurde angewiesen, nicht mit dem Fahrenden zu sprechen. Nachdem sie aus dem Bus ausgestiegen waren, ließen wir die Reisenden berichten, wie glücklich sie sich in diesem Moment fühlten. Es zeigte sich, dass diejenigen, die sich bei den Fahrenden bedanken oder ihnen einen schönen Tag gewünscht hatten, glücklicher aus dem Shuttle stiegen als die, die nicht mit den Fahrenden gesprochen hatten. Schon ein paar nette Worte reichten also aus, um die Stimmung zu verbessern!
Wie lange hielt dieses Glück an?
Das haben wir nicht gemessen, aber es ist in der Tat eine interessante Frage für künftige Studien.
Bei der Initiative #mehrAchtung geht es um Respekt und Rücksichtnahme im Straßenverkehr. Glauben Sie, dass sich die Ergebnisse Ihrer Studien auf den Verkehr im Allgemeinen übertragen lassen? Sind freundliche Verkehrsteilnehmende glücklicher?
Ich glaube, dass es äußerst wichtig ist, im Straßenverkehr freundlich und nett zu anderen zu sein. Ich habe kein Auto, aber ich laufe viel durch die Stadt und benutze oft öffentliche Verkehrsmittel. Man könnte mich also als erfahrene Fußgängerin bezeichnen! Wenn ein Auto mir Platz macht, damit ich die Straße sicher überqueren kann, versuche ich, meine Dankbarkeit durch kleine Gesten zu zeigen – durch Lächeln und Nicken. Ich versuche auch, Bus- und Taxifahrende zu grüßen und Danke zu sagen, wenn ich unterwegs bin. Da der Verkehr in einer Großstadt wie Istanbul sehr stressig sein kann, können solche sozialen Interaktionen uns helfen, in der Balance zu bleiben, indem sie uns während des Pendelns kleine Glücksschübe geben.
Wie wichtig sind diese kurzen Interaktionen, wenn es um das allgemeine Glücksgefühl von Menschen geht?
Ich denke, kleine soziale Interaktionen mit Fremden und Bekannten sind für unser Glück wichtiger, als uns bewusst ist. Meine Kollegin Juliana Schroeder und mein Kollege Nick Epley haben zu diesem Thema hervorragende Arbeit geleistet. Im Jahr 2014 machten sie eine Reihe von experimentellen Studien, die an verschiedenen Orten wie Zügen, Bussen, Taxis und Wartezimmern in Labors durchgeführt wurden. Dabei wurde eine Gruppe von Teilnehmenden angewiesen, ein Gespräch mit einer fremden Person zu beginnen und zu versuchen, diese Person möglichst durch ein längeres Gespräch kennenzulernen – während die andere Gruppe angewiesen wurde, sich zurückzuhalten oder ihrer normalen Routine nachzugehen. Die Ergebnisse zeigten, dass diejenigen, die mit Unbekannten sprachen, von einer angenehmeren Erfahrung berichteten als die, die es nicht taten. Allerdings unterschätzten die Teilnehmenden das Plus an Freude, das sich aus dieser sozialen Beziehung zu Fremden ergibt, zum Teil deshalb, weil sie dachten, andere seien weniger an sozialen Interaktionen interessiert als sie selbst.
In den letzten Jahren gab es viele Studien über soziale Interaktionen und Glück – welche davon ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Von den vielen großartigen Arbeiten über minimale soziale Interaktionen, die es gibt, ist mir die Studie von Gillian Sandstrom (University of Sussex) und Liz Dunn (University of British Columbia) aus dem Jahr 2014 vielleicht am meisten im Gedächtnis geblieben. In einer experimentellen Studie wiesen sie eine Gruppe von Teilnehmenden an, eine echte Interaktion mit einem Barista in einem Café zu führen, indem sie lächelten, Augenkontakt herstellten und ein kurzes Gespräch führten. Die andere Gruppe wurde angewiesen, eher effizient zu sein, indem sie ihr Geld bereithielten und unnötige Gespräche vermieden. Die Ergebnisse zeigten, dass Personen aus der ersten Gruppe sich für den Moment besser fühlten und sie erlebten auch ein größeres Zugehörigkeitsgefühl.
Wie kommen Sie selbst eigentlich zur Arbeit? Nehmen Sie nur Busse?
Ich lebe mitten in Istanbul. Um vom Stadtzentrum zur Arbeit zu kommen, nehme ich den Shuttle der Universität. Das sind zahlreiche Gelegenheiten, um soziale Kontakte zu knüpfen! Und weil ich genau weiß, dass soziale Interaktionen zu unserem Glück beitragen, versuche ich, während dieser Fahrten so oft wie möglich Kontakte zu knüpfen.
Gul Gunaydin ist Professorin für Psychologie an der Sabanci-Universität in Istanbul, Türkei. Sie war Stipendiatin der University of California, Berkeley.Die Schwerpunkte ihrer Forschung sind menschliche Beziehungen und Wohlbefinden. Derzeit leitet sie ein Projekt zu sozialen Interaktionen mit Fremden und Bekannten.
Weitere Informationen: http://myweb.sabanciuniv.edu/gulgunaydin