Para-Radsportlerin Maike Hausberger
„Ich kann alles, nur anders.“
Maike Hausberger wurde mit einer Lähmung der linken Körperhälfte geboren. Schon als Kind wollte sie Profisportlerin werden, heute ist sie Weltmeisterin in mehreren Sportarten.
Erst Leichtathletik, dann Triathlon und jetzt Radsport: Maike Hausberger hat den Para-Sport durchgespielt. 2023 gewann sie Gold bei der Para-Rad-Weltmeisterschaft in Glasgow – auf der Bahn und auf der Straße. Aktuell bereitet sie sich auf die Paralympischen Sommerspiele in Paris vor. Die 29-Jährige aus Butzweiler bei Trier wollte schon immer alles machen und geben – und motiviert damit andere Menschen mit Behinderung. Ein Interview über Leidenschaft, Dankbarkeit und die Sicherheit im Straßenverkehr.
2024 ist ein besonderes Jahr für Sie. Im September finden die Paralympischen Spiele in Paris statt und Sie treten erstmals im Radsport an. Wie läuft die Vorbereitung?
Die letzten beiden Weltcups liefen sehr gut, die Chancen auf Medaillen sind also gut – auch weil ich auf der Bahn und auf der Straße starte. Natürlich muss bei den Paralympics vieles zusammenspielen, die Konkurrenz ist stark. Aber grundsätzlich geht es bei Wettkämpfen für mich darum, das beste Ergebnis für mich herauszuholen. Die Leistung der anderen Athletinnen und Athleten kann ich nicht beeinflussen. Wenn ich am Ende ins Ziel komme und weiß, dass ich heute alles gegeben habe, dann bin ich glücklich.
Sie sind 2019 aufs Rad umgestiegen, nachdem Sie zuvor in vielen anderen Sportarten erfolgreich waren. Wie kam es zu diesem Wechsel?
Ich war neun Jahre lang als Leichtathletin aktiv, als ich mich am Sprunggelenk verletzte. Dabei stellte sich heraus, dass mein Gelenk aufgrund meiner Behinderung nie voll ausgebildet war. Durch die hohe Sprintbelastung schlug das Wadenbein immer wieder auf das Sprunggelenk. Die Ärztinnen und Ärzte rieten mir, die Sportart zu wechseln. Schon während der Verletzungszeit habe ich viel im Wasser und auf dem Rad trainiert, was mich neugierig auf Triathlon machte. Ich probierte es und hatte Erfolg. Allerdings war meine Startklasse zu diesem Zeitpunkt nicht für die Sommer-Paralympics 2021 in Tokio vorgesehen. Ich hatte also keine Chance, daran teilzunehmen oder gefördert zu werden. Und dann muss man abwägen: Macht man den Sport nur für sich oder will man damit auch seinen Lebensunterhalt verdienen? Für mich war klar, dass ich internationale Wettkämpfe bestreiten möchte. Deshalb bin ich zum Radsport gewechselt.
Wie hat sich Ihre Leidenschaft für den Leistungssport entwickelt?
Durch das Fernsehen. Ich lag 2008 mit 13 Jahren im Wohnzimmer meiner Eltern, habe die Paralympics gesehen und zu meiner Mama gesagt: Da will ich auch mal hin. Ich will auch mal Sport machen und alle schauen mir zu. Von da an habe ich meinen Eltern in den Ohren gelegen, bis sie mich beim Leichtathletikverein in Trier angemeldet haben. Ich bin ein sehr positiver Mensch und die Hoffnung auf Erfolg war bei mir schon immer größer als die Angst vor Misserfolg. Gleichzeitig machen mir Wettkämpfe sehr viel Spaß. Ich möchte das Beste aus mir herausholen und am Ende wissen, dass ich alles gegeben habe. Dann ist mir auch die Platzierung erst einmal egal, denn es geht um mich. Jede Athletin und jeder Athlet sollte sich in erster Linie mit sich selbst messen.
Waren Sie schon immer so positiv eingestellt?
Das ist ein bisschen anerzogen. Ich bin das vierte Kind in meiner Familie und die Behinderung stand für sie nie im Mittelpunkt. Es war für meine Eltern herausfordernd, aber sie haben in der Behinderung nie etwas Negatives gesehen. Natürlich konnte ich bestimmte Dinge nicht. Ich hätte gerne Klavier gelernt, wie alle meine Geschwister, aber das ging natürlich nicht. Also habe ich mir eine Alternative gesucht und spiele bis heute Waldhorn. Das Instrument wird eigentlich mit der linken Hand gespielt und wurde für mich so umgebaut, dass ich es auch mit rechts spielen kann. Ich hatte nie Angst vor irgendetwas. Ich wusste immer: Ich kann alles, nur anders. Gleichzeitig bin ich total dankbar für das, was ich erleben darf. Als ich Anfang Mai bei einem Weltcup in Ostende war, stand ich am Meer und dachte: Wahnsinn, was ist das hier eigentlich? Man fährt ein Rennen und darf dafür an die schönsten Orte, bekommt Verpflegung und Unterkunft einfach gestellt.
Worauf kommt es im Umgang mit Behinderung für Sie an?
Das eigene Umfeld ist für Menschen mit Behinderung sehr wichtig. Vor allem Eltern sollten versuchen, ihr Kind so gut wie möglich machen zu lassen, und ihm Vertrauen schenken. So lernt man, mit der Behinderung umzugehen. Es ist in Ordnung, auch mal auf die Nase zu fallen. So sammelt man Erfahrungen. Meine Eltern haben nie gesagt, dass ich etwas nicht kann. Sie wollten immer, dass ich alles ausprobiere.
Wie hat sich der Para-Sport in den vergangenen Jahren entwickelt?
Inzwischen braucht man im Para-Sport den gleichen Ehrgeiz und die gleiche Leistung wie im Nichtbehindertensport, um an die Spitze zu kommen. Der Para-Sport professionalisiert sich immer mehr. Der ehemalige Leichtathlet Jörg Frischmann hat einmal gesagt, dass es früher gereicht hat, dreimal die Woche zu trainieren, um als Para-Sportler erfolgreich zu sein. Das ist heute definitiv nicht mehr so.
Welche Herausforderungen erleben Sie im Radsport?
Auf der Bahn habe ich große Schwierigkeiten, Linkskurven zu fahren, weil meine linke Seite dabei so stark belastet wird. Ich komme immer ins Ziel und die Beine könnten noch, aber der linke Arm kann die Last nicht weiter halten. Aber so hat jede Person seine individuelle Beeinträchtigung. Die Voraussetzungen sind nie hundertprozentig gleich – auch im Nichtbehindertensport nicht.
Sie sind nicht nur beruflich, sondern – wie viele Menschen – auch privat häufig mit dem Fahrrad im Straßenverkehr unterwegs. Ist das Rad ihr bevorzugtes Fortbewegungsmittel?
Auch in meiner Freizeit fahre ich sehr gerne Fahrrad. Als ich noch in Cottbus gewohnt habe, bin ich alle Wege mit dem Rad gefahren. Mir gefällt, dass man damit so weit kommt und in kurzer Zeit viel sehen kann. Jetzt wohne ich im Aichtal bei Stuttgart und hier fahre ich – auch wegen der Topografie – viel Auto. Damit kommt man zwar auch weit, aber man bekommt nichts von der Umgebung mit, weil man sich sehr auf den Verkehr konzentrieren muss. Mit dem Rad ist man entspannter und umsichtiger unterwegs.
Wie erleben Sie den Straßenverkehr?
Ich habe den Eindruck, dass die Menschen seit der Pandemie weniger entspannt sind. Vor allem Autofahrerinnen und Autofahrer sind aggressiv unterwegs, schnell genervt und hupen. Auf dem Fahrrad habe ich schon viele gefährliche Situationen erlebt. Neulich hat mich ein Wohnmobil viel zu nah überholt. Die wenigsten Autofahrenden können den erforderlichen Seitenabstand von 1,5 Metern richtig einschätzen oder wissen, dass man mit dem Fahrrad auch nebeneinander fahren darf, wenn man dabei den Verkehr nicht behindert. Viele Autofahrerinnen und Autofahrer denken gar nicht darüber nach, was ihr Verhalten für ungeschützte Verkehrsteilnehmende bedeuten kann.
Was wünschen Sie sich von Ihren Mitmenschen?
Einen respektvollen Umgang. Man muss miteinander reden und versuchen, einander zu verstehen. Man darf auch mal Fehler machen. Auch Radfahrende verhalten sich nicht immer richtig. Das muss man auch zugeben. Ich wünsche mir von den Menschen ein bisschen mehr Dankbarkeit für das, was sie haben.
Fotos: DrewKaplanPhotography, Maike Hausberger