Pilotprojekt in Weingarten

Sozialer Bürgerfahrdienst macht Menschen mobil

Im schwäbischen Weingarten bringen ehrenamtliche Fahrerinnen und Fahrer mobilitätseingeschränkte Menschen zu ihren Terminen. So können alle gleichberechtigt und sicher am Straßenverkehr teilnehmen.

20.11.2024
3 min Lesedauer
Ein Mann schaut aus einem Kleinbus, der mit Werbung beklebt ist. Rechts davon stehen zwei Frauen.
Die Initiatorinnen und Initiatoren des sozialen Bürgerfahrdienstes (von links): Bruno Sauter, Sieglinde Zimmer-Meyer und Mathilde Berger.

Wenn der Körper nicht mehr mitspielt, keine Angehörigen in der Nähe sind oder kein Auto zur Verfügung steht, wird der Weg zur Krankengymnastik oder zum Supermarkt für viele Menschen beschwerlich. Damit die Bürgerinnen und Bürger in Weingarten in Baden-Württemberg trotzdem mobil bleiben, hat der Stadtseniorenrat einen sozialen Bürgerfahrdienst als Pilotprojekt ins Leben gerufen. Die Ratsvorsitzende Sieglinde Zimmer-Meyer ist eine der ehrenamtlichen Initiatorinnen und Initiatoren des Pilotprojekts. Im Interview erzählt sie, wie sich das Angebot entwickelt hat und was es für die Menschen in Weingarten bedeutet.

Wie ist die Idee zum sozialen Bürgerfahrdienst entstanden?

Weingarten ist zwar eine Stadt, aber doch sehr ländlich geprägt. Vor etwa drei Jahren haben wir im Stadtseniorenrat, einem politisch unabhängigen Gremium, die Befragung „Älterwerden in Weingarten“ gestartet. Darin haben wir verschiedene Themen – unter anderem die Mobilität – abgefragt. Viele Bürgerinnen und Bürger haben geantwortet, dass der öffentliche Nahverkehr nicht ausreicht oder gar nicht bis in ihre Quartiere fährt. Hinzu kommt, dass die Altersstruktur in diesen Gebieten relativ hoch ist. Fast ein Drittel der Bevölkerung ist älter als 60 Jahre. Ärztinnen und Ärzte, die Krankengymnastik oder der Bäcker sind daher für viele Menschen nicht gut erreichbar. Das wollten wir ändern. Mit dem Bürgermobil sorgen wir dafür, dass alle Weingartnerinnen und Weingartner zum Arzt gehen oder ihre Familie besuchen können.

Mit dem Bürgermobil sorgen wir dafür, dass alle Weingartnerinnen und Weingartner zum Arzt gehen oder ihre Familie besuchen können.

Wie ging es dann weiter?

Nach der Umfrage haben wir im Stadtseniorenrat eine kleine Arbeitsgruppe gegründet und Schritt für Schritt den sozialen Bürgerfahrdienst entwickelt. Die Stadt unterstützte uns dabei zum Beispiel bei der Bereitstellung des Fahrzeugs oder bei der Öffentlichkeitsarbeit.

Wer kann den Bürgerfahrdienst nutzen?

Der soziale Bürgerfahrdienst ist ein kostenloses Angebot für alle Bürgerinnen und Bürger, die nicht mehr so mobil sind. Wir befördern zwar vor allem Seniorinnen und Senioren, haben uns aber bewusst nicht auf diesen Personenkreis beschränkt. Alle Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, können den Fahrdienst nutzen. Denn es gibt auch 50-Jährige, die nicht mehr so gut zu Fuß sind.

Wann ist das Bürgermobil unterwegs und wo fährt es hin?

Derzeit sind unsere 14 ehrenamtlichen Fahrerinnen und Fahrer mittwochs bis freitags von
8 bis 17 Uhr im Einsatz. Sie fahren die Bürgerinnen und Bürger nach telefonischer Voranmeldung zu medizinischen oder öffentlichen Einrichtungen, zum Friedhof oder zu unserer Begegnungsstätte. Unser Radius beträgt etwa zehn Kilometer. Wir fahren aber auch mal 15 Kilometer, wenn eine Ärztin oder ein Arzt weiter weg ist. Das nächste Krankenhaus, die Oberschwabenklinik, liegt in der Nachbarstadt Ravensburg auf einem Berg. Ohne Auto kommt man nur schwer dorthin. Dank des Fahrdienstes können auch mobilitätseingeschränkte Personen oder Menschen ohne Führerschein ihre Angehörigen besuchen.

Neun Personen stehen im Freien vor einem Kleinbus.
Das Team rund um den sozialen Bürgerfahrdienst: Insgesamt 14 ehrenamtliche Fahrerinnen und Fahrer sind derzeit im Einsatz.

Angenommen, eine Bürgerin muss zum Arzt. Wie genau bucht sie den Fahrdienst?

Die Gäste müssen sich mindestens zwei Tage vorher telefonisch anmelden. Bei diesem Telefonat erfragen die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer bestimmte Informationen wie die Form der Beeinträchtigung, Abhol- und Zielort, Uhrzeit und so weiter – alles natürlich unter Einhaltung des Datenschutzes. Die Fahrerin oder der Fahrer klärt dann kurz vor der Fahrt telefonisch die Details direkt mit der Person ab. Mittlerweile kennen sich die meisten Fahrenden und Gäste und es haben sich regelrechte „Stammkunden“ entwickelt.

Der Bürgerfahrdienst ist ehrenamtlich und kostenlos. Dennoch entstehen Kosten für Benzin oder die Reinigung des Autos. Wie wird das Angebot finanziert?

Gewerbetreibende aus Weingarten haben das Fahrzeug gesponsert. Im Gegenzug platzieren sie Werbung auf dem Auto. Die Fixkosten wie Versicherung, Steuer, Benzin oder die Reinigung des Autos übernimmt die Stadt. Diese Aufwände sind aber sehr überschaubar. Der Fahrdienst ist in der Pilotphase kostenlos, die Gäste können etwas spenden und sind zum Teil sehr großzügig.

Wie nehmen die Bürgerinnen und Bürger in Weingarten das Angebot an?

Sie sind begeistert. Manche haben die Fahrerinnen und Fahrer schon zum Kaffee eingeladen, so sehr freuen sich die Menschen in Weingarten über den Service. Der Fahrdienst holt sie an der Haustür ab und bringt sie wieder dorthin zurück. Manchmal helfen die Fahrerinnen und Fahrer auch beim Einsteigen oder begleiten die Gäste in die Arztpraxis. Dabei entstehen gute Gespräche, Kontakte und sehr viel Wertschätzung. In den ersten Monaten haben wir etwa 25 bis 30 Fahrten pro Monat durchgeführt. Dafür, dass wir nur drei Tage in der Woche unterwegs sind, ist das sehr viel.

Manche haben die Fahrerinnen und Fahrer schon zum Kaffee eingeladen, so sehr freuen sich die Menschen über den Service.

Gibt es Herausforderungen in der Umsetzung?

Eigentlich nicht. Wir erleben eine große Solidarität in der Bevölkerung und unsere Fahrerinnen und Fahrer sind sehr engagiert. Die meisten von ihnen sind selbst zwischen 60 und 70 Jahre alt – im weitesten Sinne ist der Bürgerfahrdienst also ein Solidaritätsprojekt. Einzige Voraussetzung für die Fahrenden ist, dass sie körperlich fit sind. Denn beim Ein- und Aussteigen müssen sie auch mal mit anpacken und zum Beispiel den Rollator ins Auto laden.

Den sozialen Bürgerfahrdienst gibt es seit März 2024. Wie geht es nach der Pilotphase weiter?

Wir halten den Zeitraum bewusst offen. Wir wollen beobachten, wie sich das Angebot entwickelt und entsprechend reagieren. Ich gehe davon aus, dass wir den Service mindestens bis zum Spätherbst anbieten werden. Dann wird es eine Evaluation geben und wir werden sehen, wie es weitergeht. Wir wollen das Angebot auf jeden Fall aufrechterhalten. Die Nachfrage ist groß und bisher läuft das Projekt sehr gut.

Was tun Sie in Weingarten, um die Sicherheit älterer und mobilitätseingeschränkter Menschen im Straßenverkehr weiter zu verbessern?

Der Stadtseniorenrat arbeitet derzeit an einem neuen Projekt, das aber noch nicht ganz spruchreif ist. In der Vergangenheit haben wir bereits eine Schulung für E-Bikes angeboten, die nicht einfach zu bedienen sind – vor allem, wenn man schon länger nicht mehr Rad gefahren ist. Wir würden gerne mit einer Fahrschule kooperieren und ein Angebot schaffen, bei dem man seine eigene Fahrtauglichkeit in Theorie und Praxis überprüfen kann, um weiterhin sicher unterwegs zu sein.

Bilder: Stadt Weingarten

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