Wer hätte das gedacht?
Überraschungen im Verkehrsalltag
Es gibt sie überraschend oft, die schönen Erlebnisse im Straßenverkehr. Ob freundliche Gesten, ein Dankeschön oder mal nicht auf seinem Recht bestehen – hier berichtet unsere Community von ihren Erfahrungen.
Elisabeth, 52, lebt in Berlin, wo sie als Beraterin arbeitet. Die ersten 19 Jahre ihres Lebens kannte sie vor allem das freundliche Verkehrsklima ihres Dorfes am Hochrhein.
Neulich an einer Ampel in Berlin. Ich auf meinem Fahrrad, neben mir ein Kurierfahrer. Gerade eben hatte er mich superknapp überholt. Ich hatte ihm hinterhergerufen, dass ich mich erschrocken hatte. Wenig später kam ich neben ihm an der Ampel zum Stehen. Und dann passierte etwas Erstaunliches. Er drehte sich zu mir und reagierte auf eine Weise, die mich überrascht hat.
In den letzten Jahren habe ich viel an meiner Kommunikation gearbeitet: In Streits versuche ich, Ich-Botschaften zu senden, und überhaupt ist es mir wichtig, empathisch und freundlich zu sein. Auch in den meisten Büros wird heute anders gesprochen als vor 25 Jahren.
Irgendwann ist mir aufgefallen: Im Straßenverkehr reagiere ich und andere nicht immer so freundlich wie an fast allen anderen Orten. Je aufgeklärter ich in anderen Lebensbereichen wurde, desto absurder kam es mir vor, im Verkehr immer gleich genervt zu reagieren.
Der Prozess war ein schleichender bei mir. Wenn ich in der Kleinstadt war, in der ich aufgewachsen bin, war ich schon immer deutlich freundlicher gewesen, einfach weil die Wahrscheinlichkeit ziemlich hoch ist, dass man auf einen Bekannten oder eine Kollegin trifft. Irgendwann habe ich angefangen, dieses Verhalten auch im Berliner Straßenverkehr an den Tag zu legen. Wenn mich jemand auf dem Fahrrad zu knapp überholt, sage ich heute eher, dass ich mich erschrocken habe, als aggressiv zu werden. Also eine klassische Ich-Botschaft: Ich benenne mein Gefühl, aber ich etikettiere nicht mein Gegenüber. Wenn ich mit dem Auto fahre, winke ich eher mal jemanden durch und freue mich über den Dankesgruß der anderen Person. Muss ich noch erwähnen, dass ich mich nach solchen Fahrten selbst besser fühle?
Das Tolle, und das bemerkte ich in dieser Situation an der Ampel: Diese Freundlichkeit kommt zurück. Wer der anderen Person klarmacht, dass man sich erschrocken hat, gibt ihr die Gelegenheit, empathisch zu reagieren. Was also sagte der Kurierfahrer an jenem Tag? „Sorry, wollte dich nicht erschrecken.“ Ich lächelte, er lächelte – es kam mir vor wie ein Verkehrswunder mitten in Berlin.
Leider ist mein Verhalten in einer Stadt wie Berlin alles andere als normal. Die Standardeinstellung der meisten Leute ist genervt bis aggressiv. Ich frage mich, ob sich das Verkehrsklima einer Stadt ändern kann, wenn mehr und mehr Leute die Achtsamkeit, die sie im Alltag an den Tag legen, auf den Verkehr übertragen. Ob es irgendwann einen Kipppunkt gibt, eine neue Verkehrskultur. Wünschen würde ich es mir. Verkehr ist ein Stressfaktor, und ich denke, das könnte anders sein.