Verkehrsexperte Barend Hauwetter
Autonomes Fahren – wie sicher ist die Zukunft?
Ist das Schlafen am Steuer bald erlaubt? Wie weit ist die Technologie des autonomen Fahrens und welche Herausforderungen stellen sich für die Verkehrssicherheit? Wir haben nachgefragt beim Experten für Fahrzeugtechnik.

Einsteigen, Ziel ins Navi eingeben und entspannen. Während sich das Auto selbstständig einen Weg durch den Verkehr sucht, nutzen die Insassen ihre freie Zeit zum Arbeiten, Lesen oder Schlafen. Autonome Fahrzeuge versprechen uns eine Zukunft ohne von Menschen verursachte Verkehrsunfälle, Staus und stressige Fahrten.
Barend Hauwetter ist Experte für Fahrzeugtechnik beim Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) e. V. und beschäftigt sich seit Jahren mit der technischen Zukunft der Mobilität. Er sagt: „Bis diese Vision Wirklichkeit und der Verkehr komplett autonom ist, müssen noch viele Fragen beantwortet werden.“

Passagiere können beim Fahren Filme schauen
Schon heute sind Fahrzeuge für den Straßenverkehr zugelassen, in denen die Fahrerin oder der Fahrer ihre Aufmerksamkeit auf andere Dinge richten darf. „Mit den kürzlich zugelassenen sogenannten Stau- und Autobahnpiloten ist es möglich, in ganz bestimmten Situationen, wie etwa stockendem Verkehr auf der Autobahn, den Blick vom Verkehrsgeschehen abzuwenden und beispielsweise ein Buch zu lesen“, erläutert Experte Hauwetter.
In Gefahrensituationen oder wenn das System an seine Grenzen stößt, müsse die fahrende Person allerdings unmittelbar die Kontrolle übernehmen können, sobald diese vom Fahrzeug dazu aufgefordert wird. Die Fahrerin oder der Fahrer wird dazu permanent vom Fahrzeug überwacht, um sicherzustellen, dass die Person in der Lage ist, die Kontrolle übernehmen zu können.
„Theoretisch dürften gesetzlich in Deutschland Fahrzeuge bereits hochautomatisiert bis
130 km/h unterwegs sein. Für den Straßenverkehr zugelassen sind derzeit aber nur wenige Modelle bis 95 km/h auf Autobahnen. Und auch das nur unter bestimmten Voraussetzungen, wie gutem Wetter“, sagt Barend Hauwetter. Doch das könne sich schnell ändern, wenn die technischen Voraussetzungen dafür vorhanden seien, prognostiziert der Verkehrsexperte. „Die größte Herausforderung bestehe darin, den Nachweis zu erbringen, dass hochautomatisierte und autonome Fahrzeuge in allen denkbaren Situationen deutlich sicherer unterwegs sind als der Mensch. Sowohl im hektischen Stadtverkehr als auch auf dem Land. Und das bei jedem Wetter.“
Assistiertes, automatisiertes und autonomes Fahren
Assistierter Modus
Mittlerweile Standard in vielen Fahrzeugen: Die Fahrerin oder der Fahrer wird durch das System unterstützt, aber behält die Kontrolle. Die Fahrerin oder der Fahrer muss jederzeit bereit sein, einzugreifen, selbst wenn das System aktiv ist. Beispiele sind der Tempomat und der Spurhalteassistent (LKA).
Automatisierter Modus
Der aktuelle Stand der Technik: Die Fahrerin oder der Fahrer gibt die Verantwortung für das Fahren an das System ab, muss jedoch aufmerksam genug bleiben, um nach Aufforderung des Systems die Fahraufgabe wieder zu übernehmen. In einer Gefahrensituation, oder wenn sich das Fahrzeug seinen Systemgrenzen nähert, fordert das System die Person am Steuer auf, die Fahraufgabe zu übernehmen.
Autonomer Modus
Die Zukunft: Das System übernimmt sämtliche Fahraufgaben unter allen Bedingungen. Die Menschen an Bord sind ausschließlich Passagiere ohne fahrbezogene Aufgaben. Sie müssen das System nicht überwachen und können sich vollständig anderen Tätigkeiten widmen. Ein Beispiel für den autonomen Modus sind autonom betriebene Shuttles, die möglicherweise keine Bedienelemente für manuelles Fahren besitzen.
Künstliche Intelligenz übernimmt das Steuer
Autonome Fahrzeuge müssen viele Informationen von verschiedenen Sensoren, Kameras und GPS schnell verarbeiten können, unterstreicht Barend Hauwetter. „Dazu werden die Systeme mit sehr großen Datenmengen trainiert, zum Beispiel mit Verkehrszeichen in verschiedenen Formen, Anbringungsarten und -winkeln sowie mit unterschiedlichen Verdeckungszuständen.“
Ziel ist es, dass Fahrzeuge im realen Verkehrsgeschehen relevante Informationen wie Straßenverlauf, Verkehrszeichen und andere Verkehrsteilnehmende sicher und präzise erfassen, verarbeiten und interpretieren. „So trifft das automatisierte Fahrsystem Entscheidungen darüber, wann gebremst, gelenkt oder beschleunigt werden muss.“ Das allein reiche laut Barend Hauwetter aber nicht aus, damit Fahrzeuge sicher sind und bleiben.
Wie bleiben autonome Autos sicher?
Entscheidend sei zukünftig, dass die Funktionsfähigkeit und Sicherheit autonomer Systeme regelmäßig überprüft werde, betont er. Das sei auch mit Blick auf mögliche Änderungen der Straßenverkehrsordnung wichtig: „Autonome Fahrzeuge müssen sich, ebenso wie der Mensch, an neue Verkehrsregeln anpassen können.“
Derzeit genüge eine Hauptuntersuchung alle zwei Jahre. „Das könnte bei autonomen Fahrzeugen künftig nicht mehr ausreichen.“ Veraltete Systeme, eine fehlerhafte Einstellung der Sensoren und Softwarefehler könnten potenziell zum Unfallrisiko werden, warnt Barend Hauwetter.
Um die Gefahr von Unfällen durch technische Ausfälle zu reduzieren, sei es zudem sinnvoll, dass hochautomatisierte Fahrzeuge über redundante Systeme verfügen, sagt der Experte. Fällt beispielsweise eine Kamera aus, gibt es noch eine zweite – oder Sensoren übernehmen stattdessen die Aufgabe. Dadurch blieben auch bei Systemfehlern alle sicherheitsrelevanten Funktionen aktiv, etwa das Bremsen oder das Lenken.
„Das hochautomatisierte Fahren ist in erster Linie eine Komfortfunktion, die bei entsprechender Absicherung aber auch einen Beitrag zur Vision Zero leisten kann.“ Schon heute seien ungefähr 90 Prozent aller Verkehrsunfälle auf menschliche Fehler zurückzuführen, betont Barend Hauwetter.
„Wenn wir eines Tages rein autonomen Verkehr und keinen Mischverkehr mehr hätten, könnten menschliche Fehler zu einem Großteil vermieden werden.“ Ganz vermeiden ließen sich Unfälle aber auch bei 100 Prozent autonomem Verkehr nicht, sagt der Verkehrsexperte. Es werde weiterhin unvorhersehbare Situationen wie Wildwechsel oder extreme Wetterlagen geben, die auch automatisierte Systeme an die physikalischen Grenzen bringen könnten. Der technische Fortschritt könnte aber auch zu neuen Unfallszenarien führen, warnt Barend Hauwetter: „Unfälle, die durch technische Fehler oder Manipulation am Fahrzeug oder der Software verursacht werden, könnten hinzukommen.“
Verkehrserziehung im KI-Zeitalter
Auch offen ist die Frage, wie die KI-Systeme künftig mit den Verkehrsteilnehmenden kommunizieren werden. „Es gibt Ideen, die Fahrzeuge beispielsweise mit bestimmten Lichtleisten zu kennzeichnen, damit Fußgängerinnen und Fußgänger erkennen, dass es sich um ein autonomes Fahrzeug handelt.“ Eine weitere Möglichkeit bestehe darin, dass die Fahrzeuge Lichtsignale auf die Straße projizieren, sagt Hauwetter. Wie genau die Kommunikation zwischen den Maschinen und anderen Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmern zu gestalten ist, damit keine Missverständnisse entstehen, werde aber noch diskutiert.
Auch die Verkehrserziehung wird so zwangsläufig eine neue Dimension erhalten, prognostiziert der Experte.
Wenn hochautomatisierte und autonome Fahrzeuge zum Standard werden, müssten Verkehrsteilnehmende lernen, wie sie sich in einer Welt mit selbstfahrenden Autos verhalten sollen. „Der Mensch, insbesondere die Nutzenden der Fahrzeuge, wird lernen müssen, wo die Möglichkeiten und Grenzen der Systeme liegen.“
Achtsamkeit bleibt essenziell
Trotz aller Fortschritte beim autonomen Fahren erwartet Hauwetter, dass es noch mindestens bis Mitte der 2030er Jahre dauern wird, bis autonome Fahrzeuge flächendeckend im Einsatz sind. Bis dahin – und darüber hinaus – ist laut dem Verkehrsexperten Achtsamkeit im Straßenverkehr gefragt: „Bis wir uns tatsächlich entspannt zurücklehnen und während der Fahrt schlafen können, liegt die Verantwortung für sicheres Ankommen weiter in den Händen der Fahrenden.“
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