Blindenführhunde: Sicherheit im Straßenverkehr

Mit Herz und Verstand sicher durch den Verkehr

Silke ist blind und meistert ihren Alltag mit Blindenführhund Chepi. Hindernisse wie fehlende taktile und akustische Signale erschweren ihre Mobilität. #mehrAchtung hat Silke und Chepi begleitet und zeigt, wie sie den Straßenverkehr bewältigen und welches Verhalten von Mitmenschen hilft.

13.05.2025
3 min Lesedauer
Blinde Frau betätigt Blindensignal einer Ampel für akustische Orientierung.
Blindenführhunde helfen ihren Halterinnen und Haltern vor allem, sich auf vollen und unübersichtlichen Straßen zu orientieren.

Die Ampel zeigt schon seit einer Weile Grün. Silke Larsen wartet jedoch lieber auf die nächste Grünphase, damit sie mehr Zeit hat, die Straße sicher zu überqueren. Das Smartphone unterstützt dabei ihre Orientierung: Es scannt die Ampel und sagt an, welche Farbe aktuell aufleuchtet. Blindenführhündin Chepi steht ihr zur Seite.

Plötzlich merkt Silke, wie jemand Chepi nach vorne schiebt. Eine ihr unbekannte Person sagt: „Es ist noch grün, Sie können gehen!“ Silke verliert kurz die Orientierung. Ihre Hündin ist für sie eine unersetzliche Hilfe im Straßenverkehr – und wenn Personen Chepi einfach berühren, sind beide abgelenkt. Situationen wie diese erleben sie leider immer wieder. Aber ihre positive Art lässt sich Silke davon nicht nehmen.

Während sie erzählt, wartet sie auf den Bus an einer der vielen Mehrfachhaltestellen Berlins. Sie hört, wie der erste Bus sich nähert – doch sie weiß nicht welcher. „Hallo, ist das der 282er?“, fragt sie den Fahrer. „Nein, der M85“, antwortet er. Silke und Chepi gehen einen Schritt zurück und warten weiter geduldig. Ein kalter Luftzug kommt ihnen entgegen. Die Straßen in ihrer Nachbarschaft sind morgens ruhiger. Dadurch kann sie besser hören, wenn Fahrzeuge sich nähern. Als Orientierungshilfe an der Bushaltestelle dienen Blindenleitstreifen, sogenannte taktile Elemente. Mit ihrer Hilfe kann Silke erkennen, wo der Bürgersteig endet und wo die Fahrbahn beginnt.

Ein weiterer Bus erreicht die Bushaltestelle. Dieses Mal ist es der richtige.

Blinde Frau nutzt Ampel-App zur Erkennung von Rot- und Grünphasen.
Silke benutzt bei Ampeln ohne Blindensignaliserung eine App, die per Kamera die Ampel scannt und ihr akustisch vermittelt, ob sie aktuell rot oder grün aufleuchtet.

Silke und Chepi: Wie Blindenführhunde im Alltag helfen

Silke setzt sich, Chepi nimmt zwischen ihren Beinen Platz. Dass die beiden im Einklang miteinander sind, ist unübersehbar. Andere Mitfahrende schauen immer wieder neugierig rüber. Auf den ersten Blick erkennen sie vermutlich nicht, dass Silke nichts sieht und Chepi ihr assistiert.

Silke ist seit ihrer Geburt blind und arbeitet ehrenamtlich im Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenverein Berlin, der bereits 1874 gegründet wurde. Sie lebt in Berlin gemeinsam mit ihrem Mann und ihren zwei Hunden. In ihrer Freizeit treibt das Ehepaar viel Sport, unter anderem spielen und trainieren sie Showdown, einen Ballsport für Blinde. Früher war Silke oft mit ihren drei mittlerweile erwachsenen Kindern und ihrem Mann reiten.

Blindenführhunde: mehr als nur Orientierungshilfe

Silkes Leidenschaften sind nicht nur Sport und Engagement, sondern auch ihre treueste Begleiterin Chepi, denn die Blindenführhündin ist schon seit fast zehn Jahren an ihrer Seite. Silke beschreibt Chepi als liebevoll, souverän und offen, ohne aufdringlich zu sein. Sie lächelt liebevoll, während sie von ihrer tierischen Begleiterin redet: „Sie ist immer mit dem Herzen dabei, mich zu führen.“

Der Bus hält nun zum vierten Mal an und Silke hört aus den Lautsprechern des Fahrzeugs, dass die richtige Haltestelle erreicht ist. Dank der elektronischen Ansagen weiß sie, wo sie gerade ist und wann sie aussteigen muss. Das ist für sie wesentlich einfacher, als an einer Haltestelle, die Busse nicht akustisch ankündigt, zu warten.

Zu sehen sind Chepi und ihre Blindenführhund-Abzeichen.
Blindenführhunde sind anhand ihrer Abzeichen leicht erkennbar.

Der Weg zum Assistenzhund

Blindenführhunde sind unverzichtbare Helfende für blinde Menschen, denn sie begleiten ihre Halterinnen und Halter durch den Alltag. Sie sorgen für Sicherheit im Straßenverkehr und sind unverzichtbar für die Orientierung in komplexen Situationen. Die 6- bis 8-monatige Ausbildung kostet 20.000 bis 30.000 Euro, wird aber von den Krankenkassen übernommen, da die Hunde als offizielles Hilfsmittel anerkannt sind.

Blindenführhunde gehören zu den Assistenzhunden, die Menschen mit Behinderung unterstützen. Die Assistenzhundeverordnung (AHundV) regelt seit dem 1. März 2023 Ausbildung, Prüfung und Zulassung. Zertifizierte Hunde dürfen überallhin mitgenommen werden und erhalten einen Ausweis sowie ein Abzeichen. Die Anerkennung gilt bis zum 10. Lebensjahr und ist um bis zu zwei Jahre verlängerbar.

Die Anerkennung eines Blindenführhundes ist bürokratisch anspruchsvoll. Bevor die Prüfung erfolgen kann, muss der Mensch nachweisen, dass er sicher mit dem Blindenstock umgehen kann. Erst danach beginnt das gemeinsame Training mit dem Hund.

Silke und Chepi laufen nun zielstrebig den Gehweg hinunter. Chepi ist konzentriert und führt ihre Halterin geradeaus, bis die Hündin ein Kommando zum Abbiegen bekommt. Immer wieder schauen zu Fuß Gehende die beiden an. Plötzlich dreht sich ein Mann aufgebracht zu den beiden um und sagt etwas Unverständliches. Ist er wütend, weil er Silke und Chepi ausweichen musste?

Chepi ist zwar konzentriert, arbeitet aber trotzdem nicht immer perfekt, betont auch Silke. „Sie ist ein Lebewesen und macht Fehler, so wie wir Menschen auch.“ Dadurch entstehen etwa Situationen, in denen Silke unmittelbar vor einem Straßenschild stehenbleibt oder sie anderen Menschen direkt entgegenläuft. Das stört Silke jedoch kaum, denn „ihre wichtigste Aufgabe ist es, dass ich mir nicht wehtue“, erzählt sie. Ein Lächeln liegt ihr auf den Lippen, wie jedes Mal, wenn sie über ihre Hündin spricht.

Zu sehen sind Silke und ihre Hündin Chepi auf einem Fußgängerüberweg. Silke hat den Arm um Chepi gelegt.
Silke und Chepi sind ein Team, das liebevoll miteinander umgeht.

Empathie statt Tunnelblick

Viele Passantinnen und Passanten scheinen trotz der vielen Abzeichen nicht direkt zu erkennen, dass Silke blind und Chepi ihre Assistenzhündin ist. Spätestens wenn klar ist, dass sie nicht sehen kann, hilft eine freundliche Ausstrahlung ihr Gegenüber schon, Silke den Umgang im Straßenverkehr zu erleichtern.

Sie wünscht sich mehr Freundlichkeit und Empathie auf den Straßen: „Viele Menschen sind in ihrem Tunnelblick gefangen. Sie haben ihr Ziel vor Augen und empfinden alles andere als störend.“ Besonders in der Großstadt sei diese Gleichgültigkeit spürbar. Silke betont, wie wichtig es ist, in solchen Momenten aufgeschlossen zu sein und eventuell Hilfe anzubieten – etwa, wenn jemand mit einem Stock orientierungslos wirkt.

„Chepi, such Zebra!“

Dass ein Blindenführhund bei der täglichen Mobilität auf Fußwegen hilft, wird bei der Begegnung mit den beiden deutlich. Silke und Chepi bewegen sich schnell und sicher über die Gehwege. Die Aufmerksamkeit der Hündin ist stets ihrer Halterin gewidmet und wenn neue Kommandos kommen, ist sie direkt bereit.

Zu sehen sind Silke und ihre Assistenzhündin, wie sie gemeinsam eine Straße überqueren.
Dank Chepi ist es für Silke sicherer, Straßen zu überqueren.

Assistenzhunde lernen komplexere Kommandos. Zum gewöhnlichen „Sitz!“ und „Platz!“ zählen vor allem bei Blindenführhunden die folgenden Kommandos zum alltäglichen Gebrauch: „Bord!“, bevor sie zu einer Bordsteinkante gehen, und „Rüber!“ oder „Passieren!“, wenn sie eine Straße überqueren. „Ampel“, wenn eine Ampel gesucht werden soll. „Such Eingang“ hilft dabei, eine Tür zu einem Gebäude zu finden. „Such Weg!“ gehört vor allem in Großstädten zu den wichtigsten Kommandos, wenn sich beispielsweise eine Baustelle auf dem Gehweg befindet und der Blindenführhund einen alternativen Weg finden muss.

Doch das Lieblingskommando von Silke und ihrer Tochter lautet „Such Zebra!“, damit Chepi einen Fußgängerüberweg, umgangssprachlich Zebrastreifen genannt, sucht.

Ablenkung bringt Mensch und Hund in Gefahr

Kommandos aufnehmen, aufpassen und zuhören – all dies ist für die Hunde Arbeit. Deswegen ist es umso wichtiger, sie währenddessen nicht abzulenken, damit sie sich komplett auf ihre Bezugsperson konzentrieren können. „Am meisten nervt es, wenn Leute meinen Blindenführhund absichtlich von seiner Arbeit ablenken, nur um zu behaupten, er sei schlecht erzogen“, berichtet Silke.

Ablenkungen können Streicheleinheiten sein, aber auch jeder weitere Versuch, das Tier auf sich aufmerksam zu machen. Durch gezieltes Schnipsen und Pfeifen in Richtung des Assistenzhundes kann er sich bereits schlechter auf die Person konzentrieren, die er leiten und beschützen soll. Dieses Verhalten ist also nicht nur unhöflich, sondern auch gefährlich – selbst, wenn positive Absichten dahinterstecken.

Zu sehen ist Silkes Hand, die den Knopf für akustische Signale einer Ampel betätigt.
Akustische und taktile Signale helfen blinden Menschen, die Straße sicher zu überqueren.

Rücksichtnahme statt Barrieren im Straßenverkehr

Für Silke ist ihr Gehör wichtig, um sich im Straßenverkehr zurechtzufinden. Sie kann Fahrzeuggrößen am Klang erkennen, doch Fahrräder und E-Scooter nimmt sie oft nicht wahr. Besonders schwierig wird es bei Fahrradwegen, die über Gehwege oder vor Bushaltestellen verlaufen, da diese kaum haptisch erkennbar sind. Eine klare Abgrenzung, die mit einem Blindenstock tastbar ist, wäre hier hilfreich. Auch Ampeln ohne akustische Signale stellen ein Problem dar – selbst wenn es eine App zur Farberkennung gibt.

Diese Herausforderungen zeigen, wie sehr Barrieren und fehlende Rücksichtnahme die Mobilität blinder Menschen im Alltag einschränken. Eine inklusive Stadtplanung mit klarer Verkehrsführung, taktilen Elementen und akustischen Signalen hilft Blinden und erleichtert ihre Selbstständigkeit. Ebenso wichtig ist ein größeres Bewusstsein in der Gesellschaft – sei es durch Rücksicht im Straßenverkehr oder den respektvollen Umgang mit Assistenzhunden. Silke plädiert für mehr Achtung: „Mit offenen Augen durch die Welt zu gehen und rücksichtsvoll zu sein – uns nicht einfach anzufassen oder mitzunehmen. Ein Hinweis wie ‚Es ist noch grün‘ ist hilfreich, aber mich ungefragt zu führen nicht. Ansprechen und fragen ist der richtige Weg!“

Bilder: Emma Strauss

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