Fahrsicherheit im Alter
Fit im Alter? Fit im Auto! 74-Jähriger macht’s vor
Rückwärtsslalom, Rutschpartie und mal so richtig auf die Bremse treten: Bei einem Fahrsicherheitstraining des ADAC stellt Bernd Henne seine Fähigkeiten hinter dem Lenkrad unter Beweis. Warum es für ältere Autofahrende wichtig ist, ihr Können zu trainieren.

Die Reifen quietschen dezent, als der schwarze Pkw mit hohem Tempo durch den Pylonen-Parcours fährt. Nur wenige Zentimeter trennen den Wagen von den Hindernissen. Am Steuer sitzt Bernd Henne, 74 Jahre alt und hoch konzentriert. Gekonnt führt er das Lenkrad ein letztes Mal von links nach rechts, bevor er mit seinem rechten Fuß sanft auf das Bremspedal tritt. Die Stirn, die zuvor in Falten lag, entspannt sich, als das Auto langsam zum Stehen kommt.
„Gut, jetzt versuch es nochmal mit 10 km/h mehr auf dem Tacho“, krächzt eine Stimme aus dem Funkgerät, das neben ihm auf dem Beifahrersitz liegt.
Sie gehört Burkhard Müller, ehemaliger Kriminalpolizist und Trainer im Fahrsicherheitszentrum Kaiserkuhle, wo Bernd Henne an diesem klaren Herbsttag ein Fahrsicherheitstraining für Seniorinnen und Senioren absolviert.

„Mehr als 60 km/h geht nicht“, ruft Bernd Henne wenige Minuten später aus dem heruntergelassenen Autofenster, als er sein Fahrzeug wieder zum Stehen bringt. Anerkennend nickt Müller seinem Schüler zu.
„Du warst beim Slalomfahren besser als 80 Prozent der Fahrerinnen und Fahrer, die ich sonst so sehe“, sagt der Fahrtrainer. „Egal, wie alt sie sind.“
Sicher unterwegs im Alter
Mit zunehmendem Alter lassen die Reaktionszeit, das Seh- und Hörvermögen sowie die Beweglichkeit oft nach. Das kann im Straßenverkehr gefährliche Folgen haben. Regelmäßige Fahrsicherheitstrainings sind für alle Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer eine gute Möglichkeit, wieder sicherer hinterm Steuer zu sitzen. Insbesondere Seniorinnen und Senioren bleiben so länger mobil.
„Viele Menschen gewöhnen sich falsche Verhaltensweisen über Jahrzehnte hinweg an. Gerade bei älteren Verkehrsteilnehmenden schaue ich besonders genau hin und versuche sie zu motivieren, diese Gewohnheiten gezielt zu hinterfragen“, erklärt Burkhard Müller.
Dazu gehören zum Beispiel das Vergessen des Schulterblicks oder zu dichtes Auffahren auf der Autobahn. Auch Angehörige oder Personen aus dem Freundeskreis sollten Seniorinnen und Senioren behutsam darauf aufmerksam machen, wenn ihnen etwas Negatives am Fahrverhalten auffällt.

Genau deshalb ist Bernd Henne heute ins Fahrsicherheitszentrum gekommen: um alte Gewohnheiten zu hinterfragen und um seine Fähigkeiten einerseits zu überprüfen andererseits zu trainieren. Gefahrenbremsung, Bremsen mit Ausweichen bei hoher Geschwindigkeit, Fahren bei Nässe, Ablenkung und Rückwärtsslalom: Im Laufe des Tages soll der 74-Jährige in sicherer Umgebung seine eigenen Grenzen und die seines Fahrzeugs kennen lernen.
Der Kampf mit dem Rückwärtsfahren
Obwohl Henne schon mehrere Fahrtrainings absolviert hat, reibt er sich vor der nächsten Übung nervös die Hände. „Rückwärtsfahren mag ich gar nicht“, lacht er, bevor er die Fahrertür zuknallt und sein Auto für den Rückwärtsslalom in Position bringt. Durch das offene Autofenster erklärt Burkhard Müller, wie der Senior die Spiegel einstellen muss und wie er präzise Lenkbewegungen ausführt.
„Greife das Lenkrad so, als hättest du einen kleinen Kanarienvogel in der Hand“, rät der Fahrtrainer lachend. „Verkrampfte Muskeln bringen beim Fahren nichts.“
Bernd Henne startet den Motor, legt den Rückwärtsgang ein und fährt los. Das Motorengeräusch beim schnellen Rückwärtsfahren erfüllt den Übungsplatz.
Durch die ersten Pylonenpaare lenkt Bernd Henne sein Fahrzeug noch einigermaßen sicher, dann werden die Kurven immer steiler, er kollidiert mit einer Pylone und gerät auf den Grünstreifen. Dort bleibt das Fahrzeug liegen.
„Das war schlecht. Die Rückfahrkamera nützt mir hier nichts“, meldet sich der Rentner über Funk bei Burkhard Müller.
„Komm zurück“, antwortet der Fahrtrainer nur.

„Du musst die Lenkbewegungen kurz, ruhig und präzise halten, konzentriere dich nur auf die Spiegel und achte nicht so sehr auf die Kamera“, erklärt der Fahrtrainer seinem Prüfling, bevor dieser zu seinem zweiten Versuch ansetzt.
Zunächst klappt es etwas besser, dann gerät das Fahrzeug wieder ins Schlingern und landet in der Wiese.
Auch der dritte und vierte Versuch enden im Aus.
Fazit dieser Übung: Das Rückwärtsfahren ist eine Schwachstelle von Bernd Henne. Regelmäßige Fahrsicherheitstrainings können helfen, genau solche Defizite aufzudecken und abzubauen.
Die Vollbremsung meistern
Es folgen weitere Übungen zur Vollbremsung sowie zum Bremsen und Ausweichen bei hoher Geschwindigkeit. Beides meistert Bernd Henne ohne Probleme.
Im Anschluss geht es auf das Herzstück des Übungsgeländes, die so genannte Gleitfläche. Hier wird das Fahren bei schlechtem Wetter simuliert.
Der Streckenabschnitt befindet sich an einem kleinen Hang. Auf einer Fläche von etwa zwei Fahrzeugbreiten fließt Wasser, das die gesamte Fahrbahn mit einem glänzenden Film überzieht. Was friedlich aussieht, kann im Straßenverkehr schnell zum Verhängnis werden.
Bernd Hennes Aufgabe ist es, eine Gefahrenbremsung durchzuführen und vor dem markierten Hindernis zum Stehen zu kommen. Mit 60 Kilometern pro Stunde rauscht der Wagen die Steigung hinunter. Als er auf die nasse Fahrbahn trifft, spritzen feine Fontänen von allen vier Reifen empor.
Henne steigt voll in die Eisen, das Auto kommt ins Schlingern. Dann greift das Antiblockiersystem (ABS) und verhindert, dass die Räder blockieren und das Fahrzeug ins Rutschen kommt. Die Karosserie des Kleinwagens neigt sich nach vorne, drückt die Federung zusammen und kommt nach einem langen Bremsvorgang endlich zum Stehen. Wieder erfüllt das Plätschern des Wassers den Übungsplatz.
Und das Hindernis? Das steht einige Meter hinter dem Fahrzeug. Der Bremsweg hat sich mehr als verdoppelt.
Vier weitere Versuche braucht der Rentner, bis er den Bremsweg richtig einschätzen kann.

„Es ist unmöglich eine Situation immer realistisch einzuschätzen, dafür spielen zu viele Faktoren eine Rolle. Die Steigung der Fahrbahn und die Menge an Wasser kann man nicht kontrollieren. Das Einzige, was man kontrollieren kann, ist, dass man vorsichtig und mit genügend Sicherheitsabstand unterwegs ist“, sagt Burkhard Müller.
Ein Tag, viele Lektionen
Bernd Henne dreht noch eine letzte Runde über den Übungsplatz, bevor er sich im Abschlussgespräch mit Burkhard Müller über seine Fortschritte austauscht: „Ich hatte schon 30-Jährige hier, die hinterm Lenkrad nicht so fit waren wie du. Nur das Rückwärtsfahren üben wir noch mal", sagt der Fahrtrainer lachend.
Bernd Henne muss schmunzeln. Dann steigt er in sein Auto, fährt in Schrittgeschwindigkeit vom Übungsplatz und macht sich auf den Weg zurück in den Alltag auf der Straße.
Bilder: Jan Ladwig